KISS - Container
Seit jeher werden Implantate, bevor sie im Patienten eingebracht werden, sterilisiert. Nur so lässt sich das Risiko einer drohenden Infektion von vornherein möglichst niedrig halten.
Bekannte und vielfach angewandte Sterilisationsverfahren sind das Autoklavieren, das Sterilisieren mit ETO (Ethylen-Oxyd), die Gamma- und Beta-Strahlensterilisation und die Plasma-Sterilisation. All diese Verfahren schließen größtenteils die Verwendung von Kunststoffen als Verpackungs- oder Trägermaterial aus. Strahlung und Temperatur können nämlich die kristallinen Strukturen so verändern, dass ein totaler Ausfall der verwendeten Teile die Folge ist.
Daher wurden für den Klinikalltag Containersysteme entwickelt, die aus metallenen Wannen mit Metalleinsätzen bestehen. In diese Siebe legt man nun die Implantate zum Autoklavieren. Dabei sind diese 134° Celsius heißem Wasserdampf und hohem Druck ausgesetzt. Wir haben uns solche Operationssiebe angeschaut und festgestellt, dass beispielsweise für die Versteifung von zwei benachbarten Wirbelkörpern, exakt vier Pedikelschrauben und zwei Verbindungsstäbe benötigt werden. Im OP-Sieb befanden sich aber etwa 80 Schrauben verschiedener Länge und 30 Verbindungsstäbe, ebenfalls in unterschiedlichen Abmessungen und Formen.
Diese im OP-Sieb verbliebenen Implantate müssen zur Bereitstellung für eine andere Wirbelsäulenoperation erneut aufbereitet werden. Obwohl nicht verwendet, werden also nach jeder Operation die Implantate zunächst mittels eines RDG (Reinigungs- und Desinfektionsgerät) gewaschen, anschließend getrocknet und schließlich wieder autoklaviert. Eine Procedere, das dazu führt, dass zum Beispiel Schrauben, die aufgrund ihrer Abmessungen nicht häufig zur Anwendung kommen, hundertfach aufgearbeitet werden. Dabei wird zwangsläufig das einzelne Implantat infolge von dauernd wechselnden Aggregatzuständen in seiner metallenen uns strukturellen Oberflächeneigenschaft verändert.
Auch der ständige Kontakt von Pedikelschrauben und Verbindungsstäben mit den umgebenden Halterungen und deren damit einhergehende mechanische Schädigung steht in klarem Widerspruch zum Medizin-Produkte-Gesetz. Denn Implantate müssen getrennt voneinander und ohne Berührung gelagert und transportiert werden. Mit der ISO 13485 wurde bei allen Herstellern ein Qualitätsmanagementsystem eingeführt, das unter anderem die Sauberkeit von Produkten und die Beherrschung der Kontamination beschreibt sowie den Umgang damit definiert. Zusätzlich beschreibt und definiert die ISO 17664 die Aufbereitung von Instrumenten. Sie zeigt zugleich auf, dass eine deutliche Verschärfung bei Multi-Use durch die neue EU-Medizin-Produkteverordnung eingetreten ist.
In seiner Veröffentlichung "Aufbereitung von Medizinprodukten - Dekontamination mittels Niederdruckplasma" beschreibt Prof. Dr. rer. nat. K. Hennes, Fachhochschule Südwestfalen, Molekulare Biotechnologie, dass die alltägliche Sterilisation mit hochkonzentriertem heißen Wasserdampf nicht in der Lage ist, Implantate von biologischer Kontamination zu befreien. Auch die Strahlensterilisation kann die nachweisbaren Pyrogene nicht vollständig von den Implantat Oberflächen entfernen, so dass ein ständiges Restrisiko für eine Infektion bleibt. Biologische Kontaminationen können also trotz aller Sicherheitsvorkehrungen Schäden verursachen.
Aus der Analyse des täglichen Umgangs mit Implantaten in Kliniken und der angesprochenen neuen Erkenntnisse der molekularen Biotechnologie resultierte für uns Handlungsbedarf. Wir setzten uns das anspruchsvolle Ziel, ein System zu entwickeln, zu konzipieren und letztlich auch zu fertigen, das alle oben angesprochenen Aspekte berücksichtigt und den Anforderungen und Erkenntnissen der Medizin und angegliederter Wissenschaften in vollem Umfang Rechnung trägt. Dabei sollte das Produkt sicher, normgerecht und für unterschiedliche Anwendungen modifizierbar sein. Natürlich musste seine Handhabung auch so gestaltet sein, dass im tagtäglichen Umgang mit dem System alle Abläufe maximal optimiert stattfinden.
Wir meinen, mit "KISS" unser Ziel erreicht zu haben: Alle Teile sind einzeln so fixiert, dass ihre berührungsempfindlichen, hochaktiven Oberflächen kontaktfrei gehalten werden. Jegliche Kontaminierung durch Abrieb der umgebenden Kunststoffoberflächen ist somit ausgeschlossen. Die Pedikel-Schraube ist im Körper des KISS-Systems untergebracht, in seinem Deckel befindet sich die zur Schraube gehörende Set-Screw. Darüber hinaus wird beides intraoperativ durch die entsprechenden Eindrehinstrumente entnommen, ohne dass es zu einer Berührung mit den Händen eines Mitglieds des OP-Teams kommt. Dieser Vorgang reduziert zusätzlich das Risiko einer Kontamination. Auch die OP-Handschuhe werden nicht zerstört.
Selbstverständlich ist das zur Herstellung des KISS-Systems verwendete Material für Medizinprodukte zugelassen. Das vorbeschriebene System wurde so konstruiert, das der Prozess im RDG (Reinigung und Desinfektionsgerät) optimal durchlaufen wird. Die Werkstoff-Minimalisierung, das heißt die eigentliche Umhüllung des Implantates, ist so ausgelegt, dass die von der Wissenschaft favorisierte Plasma-Sterilisation durchgeführt werden kann. Testergebnisse und validierte Sterilisationsabläufe wurden von anerkannten, zertifizierten Prüflaboratorien bestätigt. Die Angst vor Pyrogenen bleibt dem Operateur erspart. Der Umkarton ist mit eindeutigen lesbaren Etiketten versiegelt, die neben der Standardschrift auch einen informativen QR-Code tragen. Im Inneren des Umkartons befinden sich in doppelten Tyvek-Tüten sicher verpackt und mit einem mehrteiligen Patientenetikett versehen das KISS-System. Jeder Patient erhält ein einzeln verpacktes, sicheres Implantat. Die Verwendung von Bauteilen, die für verschiedene Größen vorhandener Implantate genutzt werden können, ermöglicht einen kostengünstigen Herstellungsprozess. Durch einfache größenangepasste Einsätze können alle gebräuchlichen Implantat-Schrauben untergebracht werden.
Sowohl durch seinen hohen Innovationsgrad als auch durch seine Umsetzbarkeit auf der Grundlage unseres unternehmerischen Know-hows garantiert KISS im nationalen wie internationalen Medizinmarkt einen hohen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nutzen. Produktionserweiterung und Einführung neuer Unternehmenskonzepte kommen damit erneut aus dem Sauerland. "Medical Mountains" gibt es nicht nur in Tuttlingen.
Autor: Friedrich-W. Köllenbach, Medizintechnik [ UTK Solution ]